Viele Künstler und Intellektuelle kamen und kommen nach Kampen
von DAGMAR HAAS-PILWAT
Die Insel Sylt gilt als Trubel-Treffpunkt der Reichen und Schönen. Dabei suchten hier mal Dichter und Maler, Künstler, Literaten und Theaterleute Ruhe. Zu den bekanntesten Inselgästen zählten in den 1920er und 30er Jahren der Maler Emil Nolde, der Verleger Ernst Rowohlt, der Schriftsteller Kurt Tucholsky und die Balletttänzerin Gret Palucca. Neben Mary Wigman gilt Palucca als die bedeutendste Vertreterin des Ausdruckstanzes in Deutschland. 1925 hat sie in Dresden eine eigene Ballettschule eröffnet und ist Sommer für Sommer nach Sylt gereist, wo sie auch nackt in den Dünen tanzte. Es ist sicher auch Ausdruck ihrer Liebe zur Insel, dass sie ihren letzten Auftritt 1950 in List und Kampen gab.
Vor allem der kleine Bauernort Kampen entwickelte sich zur Künstlerkolonie und zog Kreative und Lebenskünstler aus der ganzen Weimarer Republik an. Zum Beispiel ins legendäre „Haus Kliffende“, in dem sich Nobelpreisträger Thomas Mann 1928 für eine Woche einquartierte und mit folgenden Worten im Gästebuch verewigt hat: „An diesem Meere habe ich tief gelebt“. Im Roman „Der Zauberberg“ gönnt er zudem seinem Protagonisten Hans Castorp einen Moment am Strand von Sylt. Auch Theodor Storm verschlug es in die „Friesische Karibik“. Am liebsten weilte er in Keitum, wo er an dem Werk „Sylter Novelle“ schrieb. Es blieb unvollendet, weil der Tod schneller war als seine Feder.
Dagegen konnte Ernst von Salomon seinen berühmten Roman „Der Fragebogen” zu Ende schreiben. Den verfasste er in den Katakomben der „Kupferkanne” (heute ein beliebtes Trend-Café). Und die Maler, für die die Landschaft ein Quell der Schaffensfreude war: Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Beckmann zückten ihre Pinsel.
Emil Nolde, der expressionistische Maler, kam 1930 nach Kampen, als sein Haus im nahen Seebüll umgebaut wurde. Folgendes hat er notiert „Wie ein Trunkener lief ich stundenlang am Strand entlang.“ Nolde wohnte so wie viele andere in Clara Tiedermann Gästehaus „Kliffende“ und fand in Kampen zugleich Ruhe und Anerkennung für seine Arbeit. Übrigens: „Haus Kliffende“ gibt es heute noch. Es ist aber keine Pension mehr, sondern gehört einem wohlhabenden Geschäftsmann, der anonym bleiben will.
Als 1920 in der Strandstraße das „Trocadero“ eröffnete, wurde es für Westerland, was für Paris der „Lido“ war. Drei Mal in der Woche war Smokingzwang. Auf der Tanzfläche drehten sich Marlene Dietrich und Josephine Baker, Hans Albers und Max Schmeling. Es musizierten Barnabas von Géczy, Will Glahé und Teddy Stauffer. Von 1927 an fuhren Züge die illustre Gesellschaft auf die Insel, die fortan keine Insel mehr ist: Sie ist mit dem Festland durch einen Damm verbunden. Kampen, die Künstlerkolonie, lockt sie vor allem. Das Dorf wird zum Schauplatz von Sein und Haben.
1927 kam auch der Verleger Ernst Rowohlt auf die Insel. Legendär ist sein Zusammentreffen mit Hans Fallada, der als Klinkenputzer unterwegs war. Rowohlt regte den Autor wieder zum Schreiben an. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg spielte ein weiteres Haus auf Sylt eine große Rolle: das Haus des Verlegers Peter Suhrkamp. Er lud namhafte Autoren wie Robert Musil oder Carl Zuckmayer zu sich ein, ins Inseldorf Kampen. „Die Dämmerung dauert bis Mitternacht. . .“, vermerkte der große schweizerische Autor Max Frisch über das Licht auf Sylt. 1949 kam er nach Kampen, als Gast im Haus seines Verlegers Peter Suhrkamp – der 1959 starb.
Nun begann eine neue Ära. Presse-, Film- und Fernsehleute, angeführt von der Prominenz, gaben den Ton an. Zwischen Heidesteppe und Sandstrand residieren Axel Cäsar Springer (der Klenderhof in Kampen war seine „Burg“), Berthold Beitz und Werner Höfer. Gunter Sachs röhrt auf seinem Motorrad den Strönwai auf und ab. Der Unternehmens-Erbe feiert wilde Partys auf dem bis dahin beschaulichen Eiland. Mit seiner damaligen Ehefrau Brigitte Bardot und anderen Promis aalt sich der millionenschwere Playboy am legendären Strandabschnitt Buhne 16 bei Kampen – und wird dabei mitunter von neugierigen Blicken verfolgt: „Ich lag auf Sylt an Buhne 16, dem Strand für alle sonnenhungrigen Nackten der Republik. Trotz der Transparente ‚Badehose runter – Gunter‘ behielt ich meinen Lendenschurz an“, erinnerte sich Sachs im Jahr 2005 in seinen Memoiren.
Andere sind da weniger zimperlich. FKK-Baden und hüllenloses Volleyballspielen gehört an der Buhne 16 für viele prominente Gäste fast schon zum guten Ton. Nicht allen gefällt das: „In jeder Welle hängt ein nackter Arsch”, klagt etwa Schauspielerin Romy Schneider. Sie war eine der wenigen, die keinen Draht zur Insel fand – und nur einmal nach Sylt kam.