El Loco de Manacor …
oder: gut Ding will Weile haben.
von CHRISTIAN FARAGO und TORSTEN STIEGEMANN
Es ist ein sonniger Frühlingsnachmittag. Wir klopfen an das große rote Holztor in einer versteckten Straße mitten in Manacor. Beim Betrachten dieser Kulisse denkt man vielleicht an einen bewusst in ein mallorquinisches Stadthaus des frühen 20. Jahrhunderts verfrachteten Showroom der hiesigen Möbelindustrie, aber ganz sicher nicht an eine Bodega.
Nur das kleine Schild an der Hauswand „Vins Miquel Gelabert“ gibt Aufschluss darüber, dass wir unser Reiseziel erreicht haben und lässt unser Genießerherz sofort höherschlagen. Denn wir stehen vor der Tür eines der besten Winzer Mallorcas: Miquel Gelabert. Wahrscheinlich in Erwartung unserer deutschen Pünktlichkeit, erhalten wir rasch Einlass in die heiligen Hallen, die bis in die allerhinterste Ecke mit den mittlerweile über 180 Auszeichnungen des Weingutes stolz dekoriert sind. Der Maître öffnet uns persönlich die Tür. Gut gelaunt und mit flotten Sprüchen. Englisch können wir getrost vernachlässigen, er spräche schließlich so gut Deutsch wie seine Weinen schmecken.
Überwältigt von all den Gold- und Silbermedaillen und der zeitglich weiterhin bestehenden Frage, ob wirklich in diesen Räumlichkeiten auch die flüssigen Schätze Mallorcas lagern, nehmen wir an einem kleinen Stehtisch des gemütlichen Verkostungsraums Platz und sind froh, uns erstmal mit einem Chardnonnay Brut nature, also einem Schaumwein nach methode champenoise, den der Tüftler gemeinsam mit seinem Sohn als seinen neuesten Geniestreich ansieht, erfrischen zu dürfen.
Während die feine Perlage dieses köstlichen Tropfens auf unserem Gaumen tänzelte, beginnt Senior Gelabert seine Geschichte zu erzählen. Er sei gelernter Koch und habe gemeinsam mit seiner Frau Maria über 10 Jahre ein gut gehendes Restaurant in Calla Millor geführt. Daher auch seine guten Deutschkenntnisse. 1985 habe er mit dem eigenen Weingut begonnen, erst als Hobby und um seine ersten Flaschen im heimischen Familienrestaurant auf die Karte zu nehmen, später – nach einem gesundheitlichen Tiefschlag und der damit verbundenen Aufgabe des eigenen Restaurants- dann als seine Profession, um durch Erforschung, Vertiefung und Bewahrung des Weinbaus der heimischen Region als Pionier mallorquinischer Qualitätsweine voranzugehen. Gelabert ist kein studierter Önologe. Er lernte von den alten Weinbauern. Was ihn jedoch ausmache, sei sein Forschergeist und sein maximaler Qualitätsanspruch, so der charismatische Mallorquiner.
Er verbindet die Geheimnisse der Weinberge, der so unterschiedlichen Mikroklimate und Bodenbeschaffenheiten seiner Weingärten und die Seelen der bis zu 65 Jahre alten Rebanlagen mit modernster Kellertechnologie und traditioneller Handwerkskunst. Daraus entstehen außergewöhnliche, in seinem Fall „ausgezeichnete“ Weine, die das Maximum an Wein … an Herkunft … an Qualität aus seinen Trauben herausholen – Jahr für Jahr. Und jedes Jahr anders!
Das sei ihm sehr wichtig, wiederholt der „Meister der Cuvees“ – wie ihn viele Kenner nennen. Kundenerwartungen, ein kontinuierliches Geschmacksbild seiner Weine Jahrgang für Jahrgang zu „produzieren“, kann und will er nicht erfüllen. Er will vielmehr überraschen, so wie uns die Natur in jedem Jahr wieder aufs Neue überrascht.
Miquel Gelabert und seine Familie bewirtschaften mittlerweile rund 11 Hektar Weinberge, die sie ihr Eigen nennen dürfen. Knapp 10 Hektar befinden sich vor der Haustür rund um Manacor, einige ganz besondere Weingärten findet man um Felentix und Petra. Knapp 40.000 Flaschen kreiert Miquel im Schnitt pro Jahr. Das ist nicht viel. Das sei ihm aber auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass das, was auf die Flasche kommt, perfekt ist. Und dass es sein Mallorca widerspiegelt. Auch wenn es nicht nur autochthone Reben sind, die einst auf der balearischen Inseln zu finden waren.
Aktuell komponiert der „Verrückte aus Manecor“ mehr als 20 verschiedene Weine aus 30 verschiedene Rebsorten seiner 11 verschiedenen Weingärten. „Sie verstehen jetzt, warum ich diesen Spitznamen trage?!“, berichtet der nun fast an einen Dirigenten erinnernde Weinmacher verschmitzt lächelnd. Es sei alles andere als wirtschaftlich bei dieser Gesamtflaschenanzahl. Aber ein Callet aus seiner Lage Son Moix im Vergleich zu einem Merlot aus Es Morro sei nun mal genauso unterschiedlich wie ein Badeurlaub in Palma im Vergleich zu einer Trekkingtour im Tramontana. Und er wolle nun mal die großartige Vielfalt seiner Heimat präsentieren.
Miquel Gelabert hat natürlich auch D.O.s, Weine mit Herkunftsnachweis, im Portfolio. Lieber sind ihm aber Cuvees, die aus Geschmack und nicht aus Vorgaben entstehen. Der Freigeist unterwirft sich keinerlei Dogmen oder internationaler Trends. Dennoch sind heimische Rebsorten ein wesentlicher Bestandteil seiner Winzerphilosophie. Neben internationalen Trauben wie Cabernet Sauvignon, Merlot, Syrah, Cabernet franc und sogar Pinot Noir für Rotweine und u.a. Chardonnay, Roussanne, Viognier und Riesling für Weißweine, baut der bekennende Genussmensch Gelabert nationale Rebsorten wie Tempranillo, Garnacha, Xarel.lo und Macabeu sowie die in Mallorca beheimateten autochthonen Sorten Callet, Monte Negro, Fogoneu, Giró negre, Gorgolassa, Prensal blanc, Giró blanc und Jaumillo an und cuvetiert sie zu seinen Meisterwerken.
Alle seine Rebflächen werden sehr schonend bewirtschaftet. Er bewässert nicht. Er liest von Hand. Sehr selektiv. Jeder Weingarten bis zu dreimal pro Lese – in Abhängigkeit von der Reife der Trauben. Die gelesenen Trauben werden vorsichtig in 15 Kilo-Kisten gesammelt und wohl temperiert in den Keller gebracht. Ob er ökologisch arbeitet? Selbstverständlich! Aber auch, wenn er auf Siegel stehe, lasse er sich nicht durch Vorgaben in seiner Kreativität einschränken und verzichte daher auf eine Zertifizierung.
Der naturschonende Ausbau seiner Weine setzt sich in seiner Kellerarbeit fort. Alle Weine von Gelabert vergären ohne den Einsatz von Fremdhefen. Zur Reifung werden sie in Barrique Fässer gefüllt, zu 80 Prozent in Französische Eiche, zu 20 Prozent in Amerikanische. Bis zu 40 Prozent der genutzten Fässer werden jährlich erneuert. Und ja – alle Weine reifen im 1909 erbauten Keller unter unserem Verkostungstisch – erst in den Fässern, dann in den Flaschen, bis sie trinkreif in den Verkauf kommen – und das dauert mindestens 2 Jahre. „Wie schmecken Ihnen denn nun meine Weine?“ fragt uns „El Loco“ nach gut 3 Stunden und schenkt einen weiteren Schluck seines aktuellen Chardonnay Roure Selecció Especial 2017 nach.
Komplex und elegant in der Nase. Zitrusfrüchte. Honig. Mandeln. Etwas kräuterig. Auf jeden Fall rauchig. Die neue französische Eiche ist perfekt eingebunden. Jetzt weiß man, warum Miquel den Weinen diese Zeit im Keller gibt. Am Gaumen sehr voll und gut strukturiert. Fest und zupackend. Trotz dieser Kraft eine feine Subtilität. Und unendlich lang – wie dieser Nachmittag. „Fantastisch“ tönt es aus uns heraus, „wie ein Chassagne Montrachet, der ein neues zuhause gefunden hat!“ Ein neues Zuhause – Mitten in Mallorca.
Und treffender kann man die Weine Miquel Gelaberts nicht charakterisieren. Traube, Rebe, Boden – er schafft es einfach immer wieder, das Beste aus allem rauszuholen und zum Perfekten zu komponieren. Ein wahrer Künstler.